vrisch-Mitbegründerin und CXO Gabriella Chihan Stanley wurde die Ehre zuteil, an der Diskussion teilzunehmen. Gabriella ist die Kommunikationsmanagerin von vrisch sowie Gründerin und Organisatorin der XRVienna-Community. Die zwei anderen Experten auf dem Gebiet der virtuellen und erweiterten Realität (XR) waren Dr. Franziska Bruckner (Leiterin des Forschungsinstituts Creative/Media\Technology an der Fachhochschule St. Pölten und der immersive Künstler Gregor Ladenhauf, Mitglied des renommierten Wiener Künstlerduos DEPART. Die vom Podium behandelten Fragen haben uns allen viele Denkanstöße gegeben. Der Umfang und die Vielfalt des während dieser 45 Minuten ausgetauschten Wissens ermutigte die Anwesenden tiefer in einige der Fragen einzutauchen.
Damit auch andere XR-Autoren sowie alle, die an der Entwicklung einer VR-Erfahrung interessiert sind, daran teilhaben können, beschloss Gabriella, ihre Antworten zusammenzustellen und sie auch hier zu veröffentlichen. Nun hoffen wir, dass wir die Leser*innen dazu inspirieren können, das volle Potenzial von XR zu nutzen und den Grundstein für starke, aussagekräftige und unvergessliche XR-Erfahrungen in der Zukunft zu legen.
Gabriella: XR im Kontext der Kommunikation ist für mich aus 2 Gründen spannend: Erstens wegen der Vielseitigkeit. Wenn wir zum Beispiel XR einsetzen, um viele Menschen gleichzeitig zu verbinden, sprechen wir über XR als Kommunikationsmedium. Wenn wir XR jedoch im Kontext eines einzelnen Benutzers verwenden, haben wir es mit Kommunikation als Schnittstelle zu tun. In beiden Fällen geht es um eine neue Art der Kommunikation, sei es miteinander oder mit uns selbst. Das ist für mich sehr spannend, denn XR ist ein neues Instrument, mit dem Realität auf einer anderen Ebene wahrgenommen wird. Was mich zu meinem zweiten Punkt bringt: den Möglichkeiten.
Immersive Technologien, insbesondere VR, bieten uns neue Möglichkeiten, einen Raum mit jemand anderem zu teilen. VR ermöglicht uns, mit einem neuen Gefühl der Präsenz aus Erfahrungen neue Erinnerungen aufzubauen. Kurz gesagt, wir können sie dazu nutzen, unsere menschlichen Fähigkeiten jenseits der Bedürfnisse unseres physischen Körpers zu erweitern. All dies sind Dinge, die ich persönlich faszinierend und interessant genug finde, um daraus einen Beruf zu machen.
Viele Leute bezeichnen VR als die „ultimative Empathie-Maschine“, ich persönlich habe in dieser Hinsicht zwiespältige Gefühle. Für mich wird die ultimative „Einfühlungsmaschine“ immer das gute Storytelling bleiben, die Fähigkeit des VR-Autors, die Zuschauer hin zu einer Reihe von intimen Schlüsselmomenten zu führen. Die Kombination dieser beiden Elemente führt dazu, dass die Zuschauer eine persönliche Bindung zu den Inhalten aufbauen, die sie erleben. Verschiedene Medien bieten spezifische Möglichkeiten. VR eröffnet mit Sicherheit ein neues Kapitel in der Art und Weise, wie wir Geschichten erfahren, sie assimilieren und uns an sie wegen ihrer immersiven Qualität erinnern. Durch die Intensität der Immersion betrachten wir bestimmte Situationen von einer viel höheren Ebene aus und verstehen sie sozusagen aus nächster Nähe.
Obwohl VR ein mächtiges Werkzeug ist, ist sie jedoch meiner Meinung nach allein (noch) nicht in der Lage das ganze Bild einer Situation zu vermitteln, um damit Empathie zu erzeugen.
Einfühlungsvermögen ist der Prozess, die Situationen anderer Menschen so zu verstehen, als wären es unsere eigenen. Bildhaft ausgedrückt: Können neun in einer Einzelhaftzelle verbrachte Minuten uns vollständig verstehen lassen, was ein Gefangener fünf Jahre lang dort empfunden hat? Oder kann die Erfahrung, einen Tag lang obdachlos zu sein, das Gefühl des Ausgesetztseins und der Angst vor weiteren 365 Tagen Obdachlosigkeit abbilden? Wir können uns natürlich vorstellen, wie es sich angefühlt haben muss, und unsere eigene Version davon schaffen. Aber diese Vorstellung wird immer noch nicht das ganze Bild wiedergeben. Vielleicht ist meine Antwort auf diese Frage kein „Nein“, sondern ein „Noch nicht“.
Einfühlungsvermögen ist ein Prozess. Und für mich ist VR eher ein potentielles Tor zum Einfühlungsvermögen aber keine Empathie-Maschine an sich. VR kann unser Interesse an Beziehungen zu anderen Menschen verstärken, so dass wir nach dem Erlebnis über sie nachdenken und mehr über ihre Situation erfahren wollen. Wir werden neugierig und wollen besser verstehen. Es setzt ein Prozess der Entdeckung ein. Wir bekommen ein Werkzeug des Verstehenkönnens in die Hand gelegt.
Dieses Vorgehen entspringt meinem Wunsch, mit 360-Grad-Videos als Medium zu experimentieren. Konkret geht es darum, Wege zu finden, wie eine Geschichte erzählt werden kann und zugleich neue Aspekte des Potenzials zu entdecken, das 360-Grad-Videos als neues Kommunikationsmittel haben. Denken Sie zum Beispiel an den Blickkontakt. Dieser ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für sinnhafte Verbindungen. Während der Events versuche ich, mit der Kamera so zu interagieren, als wäre sie selbst eine Teilnehmerin. Ich rede mit ihr, esse vor ihr, zeige auf den/die Redner*in und nicke zustimmend mit dem Kopf. In gewisser Weise ist das ein kleines Experiment, um zu sehen, wie nahe wir dem Publikum auf der anderen Seite des Streams kommen und ein aussagekräftiges Event daraus machen können. Ich will dabei nicht genau das wiedergeben, was man als Teilnehmer*in des Events womöglich erfahren kann. Stattdessen versuche ich etwas Besonderes und zugleich Nutzbringendes für die Person auf der anderen Seite des Streams zu generieren.
Ich habe kürzlich ein Buch über die Entstehung des Silicon Valley gelesen. Dabei ist mir am meisten aufgefallen, dass so viele Technologien scheitern, weil sie irgendwie vergessen, dass auf der anderen Seite des Geräts ein Mensch sitzt. Wenn wir die Menschen mit ihren Gefühlen, Bedürfnissen und Reaktionen auf der anderen Seite vergessen, dann erzeugen wir nur eine Darstellung von Technologie-Inhalten. Und Technologien neigen dazu, schnell zu veralten, weshalb wir dazu verdammt sind, in immer kürzeren Abständen neue Technologie-Inhalte zu erschaffen. Ein Beispiel gefällig? Denken Sie an die vielen 3D-Filme, die Sie gesehen haben, in denen Ihnen irgendein Gegenstand ins Gesicht geworfen wird, um Sie zu erschrecken. Einmal ist das lustig. Zweimal ist auch noch okay. Beim dritten Mal rufen Sie aber: „Ich will hier raus!“
Immer wenn ich an die Zukunft von XR im Bereich Kommunikation denke, fällt mir ein, wie die Mobilfunktechnologie die Art und Weise verändert hat, wie wir heute miteinander interagieren. Wie viele von uns erhalten heutzutage lieber eine Textnachricht statt eines Telefonanrufs, wenn die Nachricht unerwartet kommt? Oder wann haben wir uns das letzte Mal eine Telefonnummer gemerkt? Mobilfunktechnologien (und übrigens auch die sozialen Medien) haben die Art und Weise, wie wir Informationen untereinander austauschen, verändert und eine ganz neue Art der gegenseitigen Wahrnehmung hervorgebracht. Manche mögen einwenden, dass die Kommunikation zwar direkter, aber nicht unbedingt besser geworden ist.
Wenn es um die potenziellen Auswirkungen von VR als Kommunikationstechnologie geht, glaube ich, dass es zu einer sozialeren Nutzung von XR kommen wird. Dabei spielen nicht nur die visuellen Aspekte, sondern auch Haptik, Mobilität und sogar Gerüche eine Rolle. Menschlichen Beziehungen, unserem Verhältnis zur Natur und sogar Gegenständen können dadurch neue Dimensionen gegeben werden.
Das Gefühl der Präsenz, das sich bei der VR-Erfahrung einstellt, wird sich in Zukunft noch verfeinern. Das wird Einfluss darauf haben, wie wir Erinnerungen erzeugen oder wie wir unsere Grenzen als Menschen wahrnehmen – denn wir beginnen damit, über die Grenzen unseres physischen Körpers hinaus zu denken. Ich kann mir eine nicht allzu ferne Zukunft vorstellen, in der VR zusammen mit der 5G-Technologie endlich die Datenverarbeitungsleistung auf die Beine stellt, die notwendig ist, um VR wirklich zum Mainstream zu machen.
Nicht zuletzt stelle ich mir vor, dass sich XR weiter zu einer mehr auf den Menschen ausgerichteten Schnittstelle entwickeln wird. Im Moment kommunizieren wir mit einem Computersystem über eine Tastatur, eine Maus und einen oder mehrere Bildschirme. XR hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir mit Technologie und Daten umgehen, zu revolutionieren. Die Hardware wird definitiv kleiner oder gar nicht mehr notwendig sein. Und es wird mehr und mehr um die Erfahrung selbst gehen als darum, welche Mittel wir brauchen, um sie zu verwirklichen.
Als Schöpfer*innen einer Technologie, die das Publikum in neue Realitäten führen soll, müssen wir sicherstellen, dass wir sie verantwortungsvoll und sinnvoll einsetzen. Wir müssen uns regelmäßig die Zeit nehmen, um zu überlegen, wie wir die Qualität und Umsetzung der von uns geschaffenen Erfahrungen verbessern können. Wir müssen uns ständig daran erinnern, dass die beste Art und Weise, unvergessliche Geschichten zu erzählen, darin besteht, dass wir selbst die Welt auf denkwürdige Weise erleben.
Wenn Ihr daran interessiert seid, euer Wissen über dieses oder ein anderes Thema im Bereich XR zu erweitern oder Sie ein paar Beispiele der Anwendung von Augmented und Virtual Reality sehen möchten, würde sich unser vrisch-Team sehr freuen, von euch zu hören. Wir zeigen euch die vielen spannenden Möglichkeiten auf, wie immersive Technologien in zukünftige Projekte integriert werden können. Der Schritt in eine ganz neue Realität ist nur eine Nachricht weit weg. Kontaktiert uns jetzt!