Kurz nachdem sich die News rund um die Delta-Variante überschlagen hatten, unterzeichneten wir den Vertrag mit Les Enfants Terribles, um gemeinsam unser erstes immersives Theater-VR-Erlebnis zu produzieren. Und zwar in London! Nach mehreren „Sind Sie sich denn wirklich sicher?“-Gesprächen entschieden wir, dass unsere Begeisterung für dieses Projekt alle Zweifel überwiegt. Also buchten wir unseren Flug, bestellten die obligatorischen COVID-Tests, packten unsere Filmausrüstung ein und begaben uns auf eine der aufregendsten Reisen unserer VR-Filmkarriere. Diesmal auch mit dabei: unsere vierjährige Tochter.
“Was ist der Grund ihrer Reise?“, fragte der Zollbeamte. „Wir drehen zwei Tage lang VR-Filme“, antworteten wir. „Nun, ich hoffe, die Geschichte ist die zehn Tage Quarantäne wert. Wenn das der Fall ist, herzlich willkommen im Großbritannien!“, sagte der Zollbeamte mit einem sarkastischen Lächeln auf den Lippen. Wir schlenderten durch den trostlosen Flughafen und wurden zu jenen Menschen, von denen wir bisher nur in den Nachrichten gehört hatten. Wir machten uns auf den Weg, stiegen in den nächsten Zug und fuhren ins Stadtzentrum von London.
Schon unsere Ankunft in unserem Airbnb-Zuhause für die nächsten Tage fühlte sich eher an, als wären wir nicht in London, um einen Film zu drehen. Es schien eher so, als wären wir selbst Teil eines Filmes. Schüsse auf der anderen Straßenseite und der Lärm eines Polizeihubschraubers über den Dächern gehörten zu unserem ersten Tag in London. Tag zwei verbrachten wir am Telefon mit den britischen Behörden, die unsere Quarantäne kontrollierten. Tag drei und vier waren voll und ganz unserer Tochter gewidmet, die ständig begleitet werden musste, um sie vor ihrem neuesten imaginären Monster zu beschützen. Und das war erst der Anfang.
Gute Neuigkeiten erreichten uns an Tag fünf: Es hieß, dass ein zusätzlicher kostenpflichtiger COVID-Test gemacht werden konnte, um frühzeitig aus der Quarantäne entlassen zu werden. Gesagt, getan. An Tag sechs waren wir endlich frei, mussten jedoch feststellen, dass unsere 360°-Filmkamera, die für dieses Projekt unerlässlich war, ohne ersichtlichen Grund den Geist aufgegeben hatte. Das Timing war natürlich einmalig: All das passierte am Freitagabend, kurz nachdem wir bestätigt hatten, am Montag mit den Dreharbeiten zu starten.
Nach unzähligen Mails, Anrufen und Momenten absoluter Verzweiflung teilte uns der Kamerahersteller mit, dass es sich um ein Hardware-Problem handelte, das nur gelöst werden konnte, indem die Kamera zur Überprüfung nach Hongkong geschickt wurde. So standen wir also da – ohne Kamera.
Doch dann geschah ein Wunder…
Nachdem ein befreundeter VR-Filmemacher unsere vielen Hilferufe auf Social Media gelesen hatte, kam er uns zur Hilfe! Obwohl er seine Kamera noch nie zuvor ausgeliehen hatte, beschloss er, uns zu helfen. Eine Entscheidung, für die wir ihm unglaublich dankbar sind! Und obwohl sogar seine Kamera zunächst den Geist aufzugeben schien, um kurz danach wieder auf wundersame Weise zum Leben erweckt zu werden – ja, ein einfaches Ein- und Ausschalten kann manchmal Wunder bewirken – konnten wir einen unserer bisher besten VR-Filme produzieren. Eine immersive Erfahrung, die es Zuschauern und Zuschauerinnen weltweit ermöglicht, zu Protagonisten und Protagonistinnen ihrer Lieblingstheaterstücke zu werden.
Auf dieser Reise haben wir auf der Suche nach einer funktionierenden Kamera neue, herausragende Menschen kennengelernt und dadurch auch die österreichische VR-Community erweitert. Ganz zu schweigen davon, dass wir unseren Glauben an die Menschheit wiedergefunden haben. Die Hilfsbereitschaft unserer Branchenkollegen hat uns überwältigt und gezeigt, dass wir stärker sind und mehr erreichen können, wenn wir als Team arbeiten, anstatt uns gegenseitig als Bedrohung oder Konkurrenz zu sehen.
Die Umstände haben uns gezwungen demütig zu werden. Wir mussten zugeben, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Wir entschlossen uns, unsere Verwundbarkeit auch unseren Projektpartnern gegenüber zu offenbaren, was dazu führte, dass die Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern viel mehr als ein einmaliges Projekt wurde. Stattdessen markierte die gemeinsame Erfahrung in London den Beginn vieler zukünftiger Möglichkeiten als Geschäftskollegen und als Freunde.
Wir haben auf die harte Art und Weise gelernt, dass wir nicht alles unter Kontrolle haben können und dass manchmal einfach passiert, was passieren muss, ob man will oder nicht. Genau das sind jene Momente, in denen die Art und Weise, wie man sich entscheidet zu handeln, einen stärker machen oder brechen kann.
Bei VR geht es nicht um Computer und Headsets. Echte, sinnvolle VR ist auf Menschen ausgerichtet und es geht um menschliche Erfahrungen. Genau das hat unsere Reise nach London so deutlich bewiesen! Wenn wir also spannende virtuelle Erlebnisse mit Mehrwert schaffen wollen, müssen wir uns zunächst auf das besinnen, was uns zu Menschen macht.
Wir können es kaum erwarten, diese spektakuläre Reise gemeinsam mit euch anzutreten!
Sollen wir die Reise starten?